am: 27.06.2001

in: DIE WELT

 

 

 

Schloss Gesternstein

Mecklenburger Einerlei - Wie SPD, CDU und PDS sich doch wieder zu einer Art Einheitspartei zusammen finden

 

Von Thomas Delekat

Die Mauer, die Mauer. Was haben Sie bloß gegen die Mauer? Die war doch völlig okay. Gewiss gibt der parteilose Abgeordnete Monty Schädel (31) so etwas ab wie den bunten Hund im mecklenburg-vorpommerschen Parlament. Er ist auch gleich zu erkennen auf den Fraktionsfluren des Schweriner Wasserschlosses. Es ist der, der Tag wie Nacht sein schwarzes Käppi trägt, genauso unentwegt wie den lockigen Bart, das schulterlange Haar. Zwar tritt er als Einzelkämpfer auf, ohne Partei. Aber in den Landtag ist er dennoch eingemeindet als festes Mitglied der PDS-Fraktion. Sofortige Liquidation der Bundeswehr! Das fordert Monty. Produktionsanlagen unter Staatsaufsicht! Und war etwa das Wetter am 13. August 1961 nicht schön? Wenn wieder der bunte Hund im Schloss anschlägt - dann stimme ein ganzes Landtagsrudel mit ihm ein. Nicht so viele, leider. Und auch sonst sei es mit der Politik im Lande nicht zum Besten bestellt.

Rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, es tagt der Arbeitskreis Innenpolitik, anwesend sind Monty Schädel für die PDS, Klaus-Michael Körner für die SPD, unter anderen. Man klappert die Tagesordnung ab. Die PDS-Leute sagen X, die von der SPD machen ihnen ihr U vor, und das letzte Wort ist ein Satz, der immer gleich lautet und immer der SPD zusteht: "Da haben wir eine grundsätzlich andere Anschauung." Danke, Kollegen, hieß das. Das war's, in unserem Sinne also beschlossen. Hat man in zweieinhalb Jahren Koalition je von einer Sache gehört, bei der die PDS den Vortritt bekommen hätte? Schädel beginnt mit langwierigen, Zeit raubenden Überlegungen. Ja, doch, sagt er schließlich. Die Härtefallkommission für Asylbewerber. Die gleiche Frage im Schloss, ein anderes Zimmer - lange, lange schaut der SPD-Abgeordnete Klaus-Michael Körner durch die himmelhohen Flügelfenster des vierten Stocks, während auch er eine angestrengte Gedächtnisleistung vollbringt. Ihm will aber überhaupt kein Beispiel einfallen.

Ob PDS, ob SPD, wer könne das auseinander halten heutzutage, stichelt die Sprecherin der CDU. Austauschbar! Aber total! Der bedeutendste Unterschied sei der Buchstabendreher von PDS zu SPD. Gar nicht so verkehrt, findet auch der Schweriner Unternehmer Rainer Beckmann, acht Jahre lang SPD-Abgeordneter im Landtag. Die PDS könne nicht mehr über den Tisch gezogen werden, weil: "Die haben die Seite schon gewechselt." Die Bundesratsaffäre sah zwar nicht danach aus. Wie also Ministerpräsident Harald Ringstorff der Rentenreform zugestimmt hatte, obwohl ein Nein ausgemacht worden war. Aber wie lau sich PDS-Landeschef Helmut Holter da empörte! Es war doch alles nur ein Sketch gewesen, sagt ein Abgeordneter der SPD. Tatsächlich ein Unfug, bestätigen auch Abgeordnete aus PDS und SPD: abgemachte Sache, und zwar vorher. Der Holter sei heilfroh gewesen, das Unvermeidliche nicht vor der Partei rechtfertigen zu müssen. Obendrein beugte Ringstorff vor ihm die Knie mit seinem "Nie wieder". Ach, wie gut das tat. So sei das gewesen. Als sozialdemokratischer Ossi-Unternehmer, sagt Beckmann, könne er derzeit die CDU empfehlen.

Schwerin ist klein, und so kommt es, dass Beckmann, der seidig-schneidige Immobilienhändler, gelegentlich den antikapitalistischen Mauerfan und ehemaligen Stasi-Agenten Konstantin Brandt (PDS) im Fitnessstudio trifft. Wie SPD-Beckmann den PDS-Brandt schildert, das stimmt präzis - Brandt ist wirklich ein wenig korpulent, zwar arbeitslos, aber doch ein lebenslustiger Mensch mit Gefallen an luxuriöser Markenkleidung. Beim Parteitag in Parchim habe er zu Gunsten der Koalition gestimmt, sagt fröhlich Brandt. Aber dann hätte die SPD die "Nato-Aggression in Jugoslawien" angezettelt, klar eine militärische Sauerei, und schwuppdiwupp die PDS dabei. Da war ihm klar: Die Partei kriegt das nie hin, die Bundeswehr abzuschaffen.

Um ihren verwirrten Mitbürgern einen Anhalt zu geben im unterhaltsamen, aber unübersichtlichen Verlauf der rot-roten Koalition, stellte die Redaktion der "Schweriner Volkszeitung" eine kurze Historie zusammen, beispielhafte Höhepunkte aus zweieinhalb Jahren Regierungszeit. Beispiel eins: Die PDS sammelt 21 000 Unterschriften für eine Volksinitiative - Für jeden Jugendlichen einen Ausbildungsplatz, einklagbar. Die SPD findet das auch sehr gut und meint, das gehöre in den Bundesrat. Dort aber hat niemals mehr irgendjemand etwas davon gehört. Beispiel zwei: PDS-Fraktionschefin Angelika Gramkow reist durchs Land und wirft sich ins Zeug - 30 Prozent der Landeseinnahmen für die Kommunen. Nö, sagt die SPD. 25 reichen. Dabei bleibt's. Beispiel drei: Die Einführung der Orientierungsstufe an Schulen. Das war ein Gelöbnis im Koalitionsvertrag gewesen, beschworen von der SPD, abgenommen von der PDS. Die SPD debattiert das Thema rauf und runter, kurz und klein. Schließlich ist es ganz erledigt. Beispiel vier: Ministerpräsident Ringstorff gibt das Justizministerium ab. Daraus ergibt sich eine weitere Stimme am Kabinettstisch für die SPD und ein zusätzlicher Minister - gegen das Wahlversprechen der PDS. Beispiel fünf: Die PDS macht Putz - wir genehmigen fünf Tage bezahlten Bildungsurlaub, einklagbar. Die SPD genehmigt das alles, nur: Nach 600 000 Mark ist Schluss - und, ihr lieben Leute, das mit dem Rechtsanspruch habt ihr nicht wirklich ernst gemeint, oder? Beispiel sechs: Verhandlungen im Bundesrat stehen an, dringender Termin, die Rentenreform. Innenminister Gottfried Timm (SPD) ist aber krank. Höchste Eisenbahn für seine Stellvertreterin, die PDS-Sozialministerin Martina Bunge. Aber die weiß nichts davon, sie wird auch nicht gefragt. Dankenswerterweise erklärt sich selbstlos die Kabinettskollegin Sigrid Kehler von der SPD bereit, und was soll man sagen - sie ist auch schon unterwegs.

Nach einem halben Koalitionsjahr schon hielt die PDS-Abgeordnete Felfe in einem vertraulichen Brief fest, mit der "kämpferischen Alternative gegen die Herrschaft des Finanz- und Großkapitals" sei es wohl nichts geworden. Eher umgekehrt, dass also der Kapitalismus die PDS kleinkriegt. Felfe, bange: "Verändert die Regierungsstellung die Partei nicht schneller, als dass sie selber Veränderungen im politischen System bewirken könnte?"

Zwar ist die PDS in Mecklenburg-Vorpommern an der Macht, hat aber keine. Nah und näher rückt sie an die SPD. Fast verschwindet sie in ihr. Das merken die alternden SED-Getreuen im Land. Sie gehen stiften. Vom 50 000 Mitglieder starken Stamm, den die PDS vor zehn Jahren besaß, sind noch 9 800 geblieben, und weil das Durchschnittsalter bei 63 Jahren liegt, stirbt die Partei nachgerade aus: Jeden Monat 40 nachgelassene Parteibücher, rund 500 pro Jahr.

Von ein paar vereinzelten Exemplaren abgesehen, sitzt das gesamte Parlament Mecklenburg-Vorpommerns praktisch wessifrei beisammen. Regionaltemperamente unter sich, eine Ansammlung zickzackmäßiger Biografien, mit den kuriosesten Überschneidungen. Hardcore-Kommunist Monty Schädel etwa, der die PDS "zu laff" findet, trifft im Landtag auf den Mann, der ihn in Feuer und Flamme versetzte für den Kommunismus - seinen einstigen Marxismus-Leninismus-Lehrer aus der DDR. Er ist jetzt Abgeordneter der SPD-Fraktion.

Die Kader, die Funktionäre, die Mitglieder der DDR-Blockparteien, der SED sind allüberall, in allen Fraktionen des Parlaments. Die CDU hat sie, sehr viele die SPD, bei der PDS waren fast alle einmal mit von der Partei. Und auch die Schwerelosigkeit, mit der der CDU-Fraktionsvorsitzende Eckhardt Rehberg sich vor zwei Jahren als Chef des FC Hansa Rostock bei der PDS-Fraktionschefin Angelika Gramkow unterhakte - das ergibt schon einen krassen Kontrast zu den parlamentarischen Begriffen des Westens. Ein Landtag wie dieser, nach Hessen oder Bayern versetzt - er hielte sich höchstens ein halbes Jahr.

Mal angenommen, die Gewissensfrage stünde an, ob eine große Firma wie BMW verstaatlicht gehört oder nicht - dann kämen bei einer geheimen Abstimmung mindestens sechs Jasager aus der PDS-Fraktion zusammen, sagt Monty Schädel. Plus ein paar Stimmen von der SPD. Ja, da könnte er richtig liegen, bestätigt auch Altkommunist Brandt - was die sozialdemokratischen Kollegen aber heftig bestreiten. Nach zweieinhalb Jahren Koalition müsste der Landtag einmal geschüttelt und nach politischer Grundfarbe neu sortiert werden: Ein schöner Teil der SPD säße dann auf PDS-Bänken. Holter und Ritter mittenmang bei der SPD.

Wie das so geht mit Rot-Rot und wie die Gesamtheit der ehemaligen Kader, SED-Mitglieder, DDR-Funktionäre und auch Ostdissidenten im Landtag sich erneut zu einer doch irgendwie einzigen großen Einheitspartei gegen den Westen absetzt: das lässt sich kaum besser erklären als am Beispiel jener Frau, die seit 23 Jahren nahe Schwerin als Bürgermeisterin amtiert. Eine mehrfach gewendete, fast klassische Ostkarriere: Zuerst Mitglied von SED und Volkskammer, dann mit der PDS in den Landtag. Vor drei Jahren flüchtete Bärbel Kozian, heute 60 Jahre alt und eine eher mondäne Erscheinung, aus der PDS. Nun wählt sie CDU. Es gebe eine einfache Erklärung für das Rätsel, sagt sie, dass der allergrößte Teil der PDS-Wähler bei der Stange bleibt, obwohl die große Menge der verknöcherten SED-Apparatschiks Verrat im Landtag wittert: Das sei eingefleischte DDR-Obrigkeitshörigkeit, unterwürfige Staatsgläubigkeit. Holter wurde mit 57 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt. Sein ebenfalls SPD-freundlicher Nachfolger Peter Ritter kam beim Sternberger Parteitag vom vergangenen Wochenende auf 56 Prozent. 56 Prozent! Die Partei, die Partei hat noch immer Recht.

"Bei den Parteitagen, bei den PDS-Versammlungen mustern sich die Delegierten, Mitglieder, Funktionäre gegenseitig und merken: Die Partei ist doch alt geworden. Kaum einer unter den Jungen, der sich so etwas an den Hut stecken würde: die Geschichte der SED und die Geschichten der PDS. Und dazwischen skandiert der Tross der PDS-Radikalen: Hoch die antikapitalistische Alternative! Raus aus der Koalition! Zwei lahme Flügel also, und die Partei lässt Federn - bei den letzten Kommunalwahlen ein Verlust von 2,5 Prozent, und nach einer Emnid-Umfrage vor wenigen Wochen kam die PDS auf nur noch 21 Prozent. Bei den Landtagswahlen 1998 waren es 24,4 Prozent gewesen.

Stellen Sie sich vor, linker Hand: ein SPD-Abgeordneter aus Berlin, ein Wessi vom altem Filz. Und jetzt, rechter Hand, ein Schweriner PDS-Genosse mit reifer Bezirkskadererfahrung - wen von beiden sähen Sie lieber neben sich sitzen? Bevor die beiden SPD-Landtagsabgeordneten antworten, hätten sie aber selber eine Frage: Ob sie wohl anonym bleiben könnten, ja? Aber dann sind sie sich einig, ohne Zögern: "Den PDS-Mann, natürlich - und jetzt sagen Sie bloß, das wäre Ihnen nicht klar gewesen."

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